Wer das Ziel nicht kennt wird den Weg nicht finden - Hilfreiche Fragen für die erste Sitzung

Wer das Ziel nicht kennt wird den Weg nicht finden - Was hat dieses Zitat von Christian Morgenstern mit einer Therapiesitzung zu tun? Dies und wie du dich optimal auf die erste Sitzung vorbereiten kannst, davon handelt dieser Beitrag. 

 

Zu Beginn einer Beratung/ Therapie kenne ich dich noch nicht. Ich weiß nichts über dich und deine Lebenssituation oder wie du aufgewachsen bist, welche positiven und negativen Erfahrungen du gemacht hast, wer deine Familie, Freunde und deine Partner*innen sind. Auch deine Werte und Ziele kenne ich am Anfang nicht. Du bist (und bleibst) in meiner Wahrnehmung daher Expert*in für deine Lebenswelt und alles, was diese betrifft.

 

Zu Beginn brauche ich, um dich bestens unterstützen zu können, also einige Informationen. Du wirst Raum haben, von dir und deiner Situation berichten zu können. Ergänzend werde ich dir einige Fragen stellen, wie dir vielleicht manchmal etwas seltsam vorkommen, weil sie dir noch niemand gestellt hat. Die wichtigsten davon kannst du hier nachlesen und dich, wenn gemocht, darauf vorbereiten.

 

1. Der Anlass oder Auslöser 

Erstens möchte ich verstehen, was der Auslöser für dich bzw. euch war, einen Termin mit mir zu vereinbaren. Gibt es einen konkreten Anlass? Wie kam es dazu? Warum ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt? Spricht etwas dagegen, jetzt Beratung zu machen? Wer hat das Problem (zuerst) benannt, wer hat welchen Leidensdruck, wie stark ist dieser (z. B. auf einer Skala von 0 - 10)?...

 

2. Das Anliegen

Das ist der Punkt, wo es um deine/eure Ziele geht. Das ist die für den weiteren Prozess wichtigste Frage.

Bevor ich deine/eure Lebenssituation genauer kennenlernen möchte, ist es mir wichtig, mir ein möglichst genaues Bild von deinen Zielen für unsere gemeinsame Arbeit zu machen. Denn zu wissen, wo du hinwillst, ist unfassbar wichtig für einen gelungenen Prozess.

 

Ich werde dich also in der ersten Sitzung fragen:

Wenn das Problem oder die Probleme zu deiner Zufriedenheit gelindert oder gelöst sind, wenn du also am Ende unserer Zusammenarbeit sagen würdest „Danke, ich bin jetzt genau da, wo ich hinwollte und ich brauche keine Beratung/ Therapie mehr…“

 

Achtung, hier sagen viele, dann würde X/Y dies und jenes tun oder nicht mehr tun. Aber es geht hier vor allem darum, was DU selbst tun oder nicht tun und wie du dich fühlen würdest ohne das Problem. In einer Beratung/Therapie kann niemand anderes verändert werden, es geht immer um eine Selbstveränderung. Der schöne Nebeneffekt ist, dass Menschen darauf reagieren, wie wir sind. Und wenn wir uns verändern, verändert sich auch, wie andere auf uns reagieren. Manchmal kann das auch negative Effekte haben. Dazu mehr in einem anderen Beitrag.

 

Also, wenn du möchtest, beantworte gern mal die folgenden Fragen:

Wie sieht dein/euer Leben, deine Beziehungen aus, wenn das Problem nicht mehr vorhanden ist?

Wo genau bist du/ seid ihr dann?

Wie bist du dann im Leben, wie fühlst du dich, wie verhältst du dich?

Wie sind dann deine zwischenmenschlichen Beziehungen, was sagen andere über dich, wie reagieren sie auf dich usw.?...

Was willst du mindestens erreichen, was wäre das Beste?

 

Warum ist das so wichtig?

Je mehr ich über deine/eure Ziele weiß und je genauer ich mir deine Vision vorstellen kann, umso sicherer können wir beide sein, dass wir am gleichen Strang in die gleiche Richtung ziehen können. Und die Erfahrung zeigt, dass die genaue Kenntnis der Ziele oft schon die „halbe Miete“ ist. Meine Arbeitsweise zeichnet sich vor allem durch Lösungsfokussierung aus, wir verbringen nur so viel Zeit bei einem Problem, wie nötig ist, um es zu verstehen. Nicht immer gibt es eine Antwort auf das Warum und nicht immer ist es für eine Lösung nötig, die Antwort auf den Ursprung eines Problemes zu kennen.

 

3.  Bisherige Lösungsversuche

Was hast du (was habt ihr) schon alles getan, um dein Ziel zu erreichen und/oder das Problem zu lösen? Mit welchem Erfolg? Das interessiert mich wirklich sehr. Denn aus den Antworten kann ich erkennen, was du bereits an Erfahrungen darüber gesammelt hast, wie du das Problem vielleicht schon verbessern konntest. Dann interessiert mich, was wir über deine bewussten und unbewussten Verbesserungsmöglichkeiten herausfinden können, um noch weitere Besserung zu erzielen.

 

Vielleicht hast du auch schon etwas unternommen, was eher zu einer Verschlechterung geführt hat. Auch dafür interessiere ich mich, um weitere „Verschlimmbesserungen“ vermeiden zu können. Was nicht funktioniert, müssen wir nicht weiter verfolgen.

 

Vielleicht fällt dir auch mindestens ein "guter Grund" dafür ein, dass es momentan so ist, wie es ist? Was wäre, wenn das Problem selbst der Versuch einer Lösung wäre...? Auf welche Frage könnte dein/ euer Problem die Antwort sein? Diese Frage erfordert es, eine ganz andere Perspektive auf das Problem einzunehmen, die nicht einfach ist. Vor allem wenn das Problem einen großen Leidensdruck macht, kann das schwierig sein. Wenn es dir aktuell nicht gelingt, diese Frage zu beantworten, ist das nicht schlimm. Das geht vielen so. Falls es dir doch gelingt, bin ich gespannt zu hören, was du über dich und deine Situation herausgefunden hast. 

 

4. Welche positiven Veränderungen hat es möglicherweise bis zu unserem ersten Gespräch gegeben?

Viele Menschen machen die Erfahrung, dass sie z.B. wegen Zahnschmerzen einen Arzttermin vereinbaren und dann plötzlich keine oder kaum noch Schmerzen haben. Die wissenschaftliche Forschung konnte dieses bisher noch rätselhafte Phänomen auch für den Bereich der Beratung und Therapie bestätigen. Über 70 % der Befragten, die einen Termin vereinbart hatten, gaben an, dass sich das Problem seitdem gelindert hat. Es gibt (noch) keine offizielle Erklärung dafür, aber vermutlich spielt es eine Rolle, dass sich Klient*innen besonders darüber Gedanken machen, wie die Therapeutin oder der Berater ihnen weiterhelfen könnte und somit neue Gedanken, Erkenntnisse und Verhaltensweisen entstehen, die zur Bewältigung des Problems oder der problematischen Situation hilfreich sind.

 

Achte also gerne mal darauf, welche positiven Veränderungen dir eventuell bis zu unserem Termin auffallen. Sie können wichtige Samenkörner sein, aus denen weitere Besserungen erwachsen.

 

Ich freue mich, mit dir/euch zu arbeiten und euch auf eurem Weg ein Stück zu begleiten!